
von: Internationale Antifa Potsdam – Potsdam4Palestine
Seit zwei Jahren führt der israelische Staat einen Vernichtungskrieg gegen die palästinensische Bevölkerung im Gaza-Streifen – ein Völkermord vor den Augen der Welt. Mindestens 70000, Schätzungen zufolge über Hunderttausend und mehr Menschen wurden durch Israels Armee ermordet, Millionen vertrieben und dem Hunger ausgesetzt, Häuser und Infrastruktur weitgehend zerstört.1 2 Während all dessen hält die deutsche Regierung gemäß ihrer „Staatsräson” zu Israel und Deutschland ist der zweitgrößte Waffenlieferant.
Mehr als Hunderttausend in Deutschland und Millionen weltweit protestieren seit zwei Jahren gegen diese Grausamkeiten – so auch wir. Seit mehreren Wochen hatten wir deshalb für den 29. November eine öffentliche Vorführung des BBC-Dokumentarfilms „Kill Zone – Inside Gaza” im Thalia-Kino in Potsdam vorbereitet (der auch zeigt, dass beim Angriff des 7. Oktober neben 400 israelischen Soldat*innen/Polizist*innen auch etwa 800 Zivilist*innen getötet wurden).
Für eine anschließende Diskussion konnten wir Dr. Tankred Stöbe,3 Mitglied und ehemaliger Präsident der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen”, gewinnen. Für die Veranstaltung haben wir im Thalia-Kino einen Saal angemietet – diesen hätten wir vollständig selbst finanziert. Der Inhalt des Films, die Veranstaltung, und unsere bisherigen Aktivitäten sind vollständig transparent über unsere Website www.potsdam4palestine.de einsehbar. In den vergangenen Wochen haben wir im Netz, auf Social Media und im persönlichen Kontakt mit Potsdamer*innen für unsere Veranstaltung geworben und sind auf breites positives Echo gestoßen.
Einer kleinen Gruppe von Menschen war unsere Filmvorführung allerdings ein Dorn im Auge. Es gab schon mehrere Wochen vor dem Termin vereinzelte E-Mails und Anrufe beim Kino, in denen „Bedenken” geäußert wurden. Auch die Geschäftsführung des Thalia selbst hatte zu diesem Zeitpunkt bereits entschieden, die Veranstaltung aufgrund der „Brisanz des Themas” nicht selbst zu bewerben.
Zwar ist uns auch aus linken Kreisen die Argumentation der herrschenden „Staatsräson” geläufig, wonach Kritik am Staat Israel per se unter dem Verdacht steht, „antisemitisch” zu sein. Doch bis kurz vor der Veranstaltung blieben die Bedenken für uns völlig intransparent, die Kritiker*innen anonym. Auch wurde zu keinem Zeitpunkt solche Kritik direkt an uns herangetragen.
Zwei Tage vor der geplanten Filmvorführung trat dann ein rabiater staatlicher Vertreter dieser Haltung in Aktion: Der „Beauftragte zur Bekämpfung des Antisemitismus im Land Brandenburg” Andreas Büttner (Die Linke) wandte sich – nicht an uns als Veranstalter, sondern direkt an das Thalia-Kino. In einer E-Mail, die in Kopie direkt auch an die „Jüdische Allgemeine” ging, und in mehreren Anrufen breiteten er und sein Büro gegenüber der Geschäftsführung ihre Wahrnehmung aus, dass unsere Veranstaltung antisemitisch wirke und die Sicherheit von jüdischen Menschen gefährde. Unter Hinweis auf einen vermeintlich drohenden Polizeieinsatz drängten sie auf die Absage der Veranstaltung.
Die Geschäftsführung des Thalia-Kinos sah sich dadurch so unter Druck gesetzt, dass sie uns am Freitag, nur einen Tag vor der geplanten Filmvorführung, mitteilte, die Veranstaltung absagen zu müssen. Über diese gezielte politische Zensur unserer aufwändig vorbereiteten Veranstaltung sind wir nach wie vor bestürzt und wütend.
Das reiht sich ein in ein System, in dem durch politischen Druck Palästina-solidarische Stimmen und Kritik am Vorgehen Israels in Gaza und Palästina unter dem Vorwand von „Sorgen” verdrängt, delegitimiert und verhindert werden.4 Die Sorgen der palästinensischen Community in Deutschland um ihre von Hunger, Vertreibung und Tod bedrohten Angehörigen, oder die regelmäßige Polizeigewalt gegen ihre friedlichen Demonstrationen, werden unsichtbar gemacht. Dafür hat Andreas Büttner gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Potsdams Ende November in ähnlicher Weise Druck auf das Museum Fluxus in Potsdam ausgeübt, um eine Ausstellung zum Abbruch zu bringen, in der Kritik am Vorgehen Israels geübt wird. Dies sind klare Eingriffe nicht nur in die Kunstfreiheit, sondern auch in die Meinungsfreiheit – zumal es in keinem Fall tatsächlich zu antisemitischen Äußerungen gekommen ist.
Wir ließen uns von der Absage unserer Veranstaltung nicht unterkriegen und organisierten spontan eine Kundgebung vor dem Rathaus Babelsberg,5 wo etwa 40 Menschen gegen politische Zensur, gegen Israels Völkermord in Gaza und gegen die Komplizenschaft des deutschen Staates protestierten. Während der Kundgebung bedrängte die Polizei gezielt arabisch gelesene Teilnehmende, die mit uns „Freiheit für Palästina!” riefen. Wir weisen solche rassistischen Maßnahmen entschieden zurück! Die Filmvorführung und Diskussion mit Dr. Tankred Stöbe konnte mit über 50 Teilnehmenden kurzfristig im selbstverwalteten Café Madia in der Potsdamer Innenstadt durchgeführt werden. Die Polizei drang sogar gegen unseren Willen in das Café ein, postierte sich davor und befragte Gäste. Später blieb sie mit einem Mannschaftswagen präsent. Wir haben uns von all dem nicht einschüchtern lassen! Schon am 3. Dezember machten wir die Vorfälle auf Instagram öffentlich, was auf breite Solidarität in Potsdam und darüber hinaus stieß.
Laut der E-Mail des Antisemitismus-Beauftragten an die Geschäftsführung des Thalia-Kinos war der Begriff „Völkermord” im Titel der Veranstaltung ausschlaggebend für seine eigenmächtige Intervention. So sei das Vorgehen Israels in Gaza juristisch nicht als Genozid definiert, vielmehr würde durch unkritisches Übernehmen von Angaben aus Gaza durch die Presse, soziale Medien und internationale Hilforganisationen wie auch „Ärzte ohne Grenzen” einem Aufschwung von Antisemitismus Vorschub geleistet. Wir als Netzwerk Potsdam for Palestine berufen uns auf den Begriff des Völkermords, nicht nur weil wir selbst zu dem Schluss kommen, das kriegerische Vorgehen Israels in Gaza richte sich nicht einfach gegen die Hamas, sondern zielt auf die gesamte palästinensische Bevölkerung und deren Auslöschung. Nein, mit dieser Auffassung sind wir nicht allein. Nicht nur weite Teile der Bevölkerung überall auf der Welt, sondern auch internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, die International Association of Genocide Scholars und nicht zuletzt „Ärzte ohne Grenzen” kommen zu dem Schluss, Israels Vorgehen als Genozid zu bezeichnen.
Der Behauptung, Israel Völkermord vorzuwerfen würde Antisemitismus Vorschub leisten, liegt die Annahme zugrunde, dass der israelische Staat Repräsentant allen jüdischen Lebens sei, und somit die israelischen Staatsinteressen mit den Interessen aller jüdischen Menschen übereinstimmen. Nach dieser Logik ist Kritik an Israel gleich Kritik an Jüd*innen, und richte sich gegen das Jüdisch-Sein von Israel. Diese Annahme lehnen wir vehement ab. Nicht nur werden dadurch die Stimmen und Positionen vieler jüdischer Menschen unsichtbar gemacht, die sich nicht mit Israel identifizieren bzw. Israel als ihren Repräsentant ablehnen, wodurch die Vielfalt jüdischer Menschen geleugnet wird. Durch diese suggerierte Einheitlichkeit des Judentums wird selbst Antisemitismus Vorschub geleistet. So werden – wie wohl auch jetzt bei dem antisemitischen Mordanschlag in Australien – Jüd*innen teilweise verantwortlich für das Vorgehen des israelischen Staats gemacht, unabhängig von ihrem tatsächlichen Bezug dazu. Dagegen positionieren wir uns klar und deutlich. Als Netzwerk Potsdam for Palestine lehnen wir Antisemitismus genauso ab wie Rassismus und alle Formen der Unterdrückung und Diskriminierung.
Das Thalia hat sich bisher stets als Ort präsentiert, indem auch kontoverse Themen Platz finden und Debatten geführt werden können. Unter anderem deshalb wollten wir diesen Raum für unsere Veranstaltung nutzen. In einer Zeit, wo unter Berufung auf die deutsche „Staatsräson” repressivstes Vorgehen der Polizei gegen Demonstrierende,6 die Beschneidung von Grundrechten wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Abschiebepolitik und Aufrüstung auf der einen und Kürzungen im sozialen und kulturellen Bereich auf der anderen Seite legitimiert werden, ist es die Pflicht von alternativen Kulturräumen, Debatten zu ermöglichen. Die Auseinandersetzung um die Ausstellung im Museum Fluxus, in der Herrn Büttners Stelle ebenfalls intervenierte, die Museumsführung sich dem Druck allerdings gestellt hat und unter Berufung auf die Kunstfreiheit sich über die politische Einflussnahme beschwert und zur Wehr gesetzt hat, zeigt, dass es auch anders geht. Diese Auseinandersetzungen müssen geführt werden, damit Raum bleibt, in dem Diskurse überhaupt stattfinden können.
Unsere Veranstaltung war von Anfang an öffentlich. Kritiker*innen hätten dabei sein können, um sich selbst ein Bild von uns und der Veranstaltung zu machen. Raum für Bedenken und Gegenargumente wäre auch hier gewesen. Anders als andere Akteure sind wir für eine offene Debatte und schließen niemand wegen solcher Meinungsverschiedenheiten aus.
Wir werden nicht nachlassen, klar und deutlich gegen Israels völkermörderischen Krieg in Gaza und seine Vertreibung der Palästinenser*innen zu protestieren – und gegen die politische und militärische Flankendeckung durch Deutschland. Erst recht in Potsdam!
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Quellen:
- https://www.mpg.de/25776334/1125-defo-gaza-studie-zeigt-beispiellose-verluste-an-menschenleben-und-lebenserwartung-154642-x#:~:text=Wahrscheinlich%20mehr%20als%20100.000%20Menschen,Folge%20des%20Konflikts%20get%C3%B6tet%20wurden ↩︎
- https://www.freitag.de/autoren/hanno-hauenstein/max-planck-institut-zaehlt-126-000-gaza-tote-was-heisst-das-fuer-den-genozid ↩︎
- https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/unsere-arbeit/team/tankred-stoebe ↩︎
- https://www.tni.org/files/2025-11/Solidaritat-unter-Beschuss.pdf ↩︎
- https://wp.potsdam4palestine.de/2025/11/29/neuer-ort-fuer-veranstaltung-zu-krieg-in-gaza-protestkundgebung-gegen-zensur/ ↩︎
- https://www.tni.org/files/2025-11/Solidaritat-unter-Beschuss.pdf ↩︎



